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Über die Kunst des Wiederaufstehens
Liebes Tagebuch...
...der Münchner Schriftsteller Benedict Wells beschrieb in seinem Roman "Vom Ende der Einsamkeit" einmal die Fähigkeit von Kindern, ohne große Ängste zu leben. Dabei ging es ihm vor allen Dingen darum, seinen Lesern zu vermitteln, dass Kinder die unbezahlbare Eigenschaft besitzen, mutig zu sein. So mutig zu sein, dass sie häufig gar nicht über irgendwelche Konsequenzen nachdenken sondern einfach drauf los stürmen, ausprobieren, was sie erreichen können und keinen Respekt vor dem Scheitern besitzen. Denn was macht ein Kind, wenn es einmal hinfällt? Im Normalfall steht es wieder auf, schüttelt sich kurz und startet dann einen zweiten Versuch.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe während meines Erwachsenwerdens die Fähigkeit des Wiederaufstehens oder zumindest große Teile davon verloren. Doch ich kann von großem Glück sprechen, dass ich in meinem Leben auf einen ganz besonderen Menschen getroffen bin. Auf meinen Schwager Rainer. Rainer ist ein Mensch, der wie kaum ein anderer gestürzt ist und durch den ich gelernt habe, wieder aufzustehen.
Doch bevor ich euch von diesem besonderen Moment und Rainer´s Geschichte erzählen will, blicke ich kurz auf das Ende meines letzten Eintrages zurück:
Erinnert ihr euch noch? Ich hatte eine Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung für den Fußball und gegen Golf. Doch wohin führte mich diese Entscheidung? Zunächst einmal dahin, dass ich bis Mitte 20 Golf nur sporadisch im Urlaub oder mit meiner Familie spielte. Während ich die Schläger selbst kaum in die Hand nahm, verflachte mein grundsätzliches Interesse keineswegs. Noch immer schaute ich bis tief in die Nacht hinein Martin Kaymer beim Gewinn seiner Majors zu, sog alles Wissenswerte rund um den kleinen weißen Ball auf und begann meine ersten Artikel über den Golfsport zu schreiben.
Mit 24 war meine Laufbahn als Fußballer plötzlich vorbei. Eine dritte Knieoperation war der Grund dafür. Ich musste meine Fußballstiefel "an den Nagel hängen". Dann aber ermöglichte es mir ein Praktikumssemester beim Online-Magazin GolfPost, mein Interesse am Golfsport vielleicht zum Beruf machen zu können. Doch den Mut zu entwickeln, einen solchen Traum auch wirklich wahr werden zu lassen und aus meinem Interesse eine wahre Liebe zu machen, dafür war erst ein Besuch am Bodensee von Nöten.
Dort, um genau zu sein in der neurologischen Rehaklinik Allensbach, hielt sich 2017 mein Schwager Rainer auf. Wie es dazu kam und warum Rainer im Golfsport ein ganz besonderes Hobby gefunden hat, schildere ich euch am besten durch seine eigenen Worte:
Hallo zusammen,
zunächst einmal kurz zu meiner Person und der Vorgeschichte zum geliebten Golfsport. Ich bin 37 Jahre alt und seit kurzem leidenschaftlicher Golfer. Mein Schwager ist der vielen von euch wahrscheinlich bekannte Yannick. Für mich ein Glücksgriff, da ich durch ihn zum Golf spielen gekommen bin, was für mich aus mehreren Gründen eine große Rolle spielt.
2016 hatte ich einen schweren unverschuldeten Autounfall. Unverschuldet ist mir dabei wichtig zu erwähnen. Bei dem Unfall erlitt ich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und lag mehrere Wochen im Koma. An den Folgen dieses Unfalls leide ich bis dato. Noch immer arbeite ich an Verbesserungen, denn ich weiß, dass ich nicht bei 100 % bin, da wo ich bereits war! Zuvor war ich ein „guter/leidenschaftlicher“ Tennisspieler und Jogger, nun benötigte ich etwas „Neues“. Sport im Allgemeinen ist mir wichtig, eine der Gemeinsamkeiten zwischen mir und Yannick. Der Golf-Sport hat für mich einige besondere Vorteile, die mir helfen durch entsprechendes Training:
- frische Luft
- Ehrgeiz (den ich habe)
- Es gibt nachvollziehbare Ergebnisse bzw. Erfolge. Jeden einzelnen Schlag kann man „bewerten“. Profis wie Yannick wissen direkt, ob dieser gut war oder nicht. Bereits das Geräusch des Aufprallens des Balles auf den Schläger besagt schon viel
- Konzentration (vor jedem Schlag). Die mangele Konzentration ist häufig bei neurologischen Patienten vorhanden, so wie bei mir. Jeder Schlag verfügt über eine neue Herausforderung
- Verbesserung der Beweglichkeit durch einzelne Schläge und damit der rechten Schulter
- Verbesserung des Gleichgewichtes, was bei mir nicht immer gut ist. Aber beim Golf eine wichtige Voraussetzung, um in einzelnen Situationen richtig reagieren zu können
- Machbar mit seinem Ehepartner
- Spaß…
Fazit: Mit der Hilfe von Yannick bin ich zum Golf gekommen. Mein zukünftiges Ziel für 2020 ist die entsprechende Platzreife. An dem nötigen Training wird es nicht mangeln…Vielleicht sehen wir uns ja demnächst mal auf dem Platz im schönen München oder zuvor auf der „Driving-Range“.
Schönes Spiel...!
Rainer Stevens
Wie ihr sehen könnt, hat Rainer das Schicksal schwer getroffen. Doch wie ihr sicher auch zwischen den Zeilen lesen könnt, lässt er sich davon nicht unterkriegen. Er steht wieder auf! In einer ruhigen Minute hat Rainer mir einmal erzählt, dass all das, was ihm passiert ist, schon schlimm genug ist, es aber eine Sache gibt, die alles schlimmer macht. Er meinte damit Mitleid bzw. Selbstmitleid. Diese Worte haben mich damals sehr nachdenklich gemacht und dazu geführt, dass ich anfing, mein eigenes Leben einmal auf den Prüfstand zu stellen. Das Ergebnis: Ich war irgendwie festgefahren, lethargisch und nicht in der Lage aufzustehen und selbst loszugehen.
Doch eines Tages - Rainer war bei einem erneuten Besuch meinerseits in trübseliger Stimmung, so dass ich entschied nicht groß mit ihm zu quatschen sondern zur nahegelegen Golfanlage zu fahren - blickte ich in seine funkelnden Augen. Augen, die nur so funkeln können, wenn man gerade seinen allerersten Golfball zum Fliegen bringt und ich spürte, dass ich etwas bewirken kann und das nicht nur für seine golferischen Fortschritte...
Warum erzähle ich euch diese lange Geschichte? Einerseits, weil wir alle in unserem Leben kleinere und größere Schicksalsschläge ertragen müssen. Weil wir alle in unserem Leben einmal hinfallen. Andererseits aber auch, weil wir dann nicht bemitleidet werden sondern selbst wieder aufstehen wollen.
Rainer war zwar derjenige, der maßgeblich daran beteiligt war, dass ich aus meiner Lethargie erwachte. Ihr alle aber seid diejenigen, durch deren häufig ebenfalls funkelnde Augen ich seit langem endlich wieder das Gefühl habe, zurück auf dem richtigen Weg zu sein. Und das ist ein wahnsinnig schönes Gefühl!